Durch ein Referendum macht sich der Südsudan von der Regierung im nördlichen Khartum unabhängig. Doch ein neuer Staat wird nicht als solcher geboren, er muss wachsen.
Bill Dueni schnürt seine Sportschuhe zu, blickt sich um und lacht strahlend. Flutlichter erhellen den Basketballplatz im Zentrum von Südsudans Hauptstadt Juba. Es ist Abend, die Hitze hat sich gelegt. Hunderte Menschen hocken auf der stufenartigen Tribüne. Der 26-jährige, große Mann mit den muskulösen Schultern klopft seinen Mitspielern auf den Rücken. Heute Abend spielen die Black Stars gegen die Bilfam Warriors – Südsudans berühmteste Basketball-Teams. Und Spieler Dueni, der als Flüchtlingskind in den USA aufgewachsen und erst vor wenigen Monaten in seine Heimat zurückgekehrt ist, ist stolz, an diesem Wochenende in Juba spielen zu dürfen.
Der Südsudan ist für seine Basketballspieler weltweit berühmt. Die Nomadenvölker im Norden des Südsudan, unter anderem die Dinka und die Nuer, gelten als die größten Menschen weltweit. Dueni selbst ist über zwei Meter groß, einige seiner Mitspieler messen sogar bis zu 2,4 Meter. Fünf Südsudanesen spielen in der US-Basketballliga, worauf Dueni besonders stolz ist. „Diese Spieler haben weltweit viel Aufmerksamkeit auf den Krieg in unserem Land gelenkt“, sagt er. Basketball sei im Südsudan fast beliebter als Fußball. Er ist sich sicher: Basketball werde in Zukunft Südsudans Nationalsport, das Aushängeschild des neuen Landes.
Vom 9. Jänner an waren im Südsudan fast vier Millionen registrierte WählerInnen aufgerufen, in einer Volksabstimmung über die Abspaltung des Südens von der Zentralregierung im nördlichen Khartum abzustimmen. Sudan, das größte Land Afrikas, soll nun entlang einer ausgehandelten Grenzlinie gespalten werden. Es bestand von Anfang an kein Zweifel, dass die Mehrheit der SüdsudanesInnen für die Unabhängigkeit stimmt. Nach über 20 Jahren Bürgerkrieg zwischen dem muslimischen Norden und dem eher christlichen Süden ist die Loslösung von Präsident Omar Bashir und seiner islamistischen Regierung, der die Scharia als Gesetzesgrundlage eingeführt hatte, der „letzte Marsch in die Freiheit“ – wie es auf vielen Wahlplakaten in Juba heißt.
Doch dies ist erst der Beginn eines komplizierten Staatsbildungsprozesses. Bis sich die 67 Ethnien im Südsudan, die sich während des Bürgerkrieges auch untereinander bekämpft haben, zu einer Nation zusammenfinden, ist es noch ein langer Weg. „Nationen werden nicht geboren, sie müssen wachsen“, weiß Jok Madut. Der Historiker, der 15 Jahre im Exil in den USA gelebt und dort Bücher über die Geschichte des Sudan veröffentlicht hat, ist erst vor wenigen Wochen in seine Heimat zurückgekehrt. Jetzt ist er Unterstaatssekretär in Südsudans Ministerium für Kultur, Sport und Nationalerbe und damit beauftragt, unter anderem über nationale Symbole, Feiertage, Denkmäler, Sportereignisse und historische Orte zu forschen, die in Zukunft die SüdsudanesInnen zu einer Nation machen sollen. Dies sei keine leichte Aufgabe, gibt er zu.
Bislang hätten sich die SüdsudanesInnen in erster Linie in Opposition zu den NordsudanesInnen verstanden, im Kampf gegen den Norden gegen einen gemeinsamen Feind vereinigt. „Die anderen sind Muslime und fühlen sich eher der arabischen Welt zugehörig, deswegen haben wir uns als christlich und der afrikanischen Kultur zugehörig gefühlt“, sagt Madut. Doch wenn nun der gemeinsame Feind wegfalle, „müssen wir neu aushandeln, was wir eigentlich sein wollen“, sagt er. Für diesen Prozess versucht Madut nun, den gemeinsamen Nenner zu finden, der alle ethnischen Gruppen vereinigt: „Jede Südsudanesin und jeder Südsudanese soll ein Teil dieser Nation sein wollen“, sagt Madut. Doch dies geschehe nur, wenn die derzeitige Führung zulasse, dass das Land den BürgerInnen gehört. Doch dafür müssen in einer demokratischen Regierung auch alle Bevölkerungsgruppen vertreten sein, was derzeit nicht der Fall ist. Fast sämtliche Machtpositionen in Regierung, Militär und der Wirtschaft sind mehrheitlich von Angehörigen des Dinka-Volkes besetzt, das rund 20 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Präsident Salva Kiir, der den Süden als Autonomiegebiet regiert, ist ein Dinka.
Deswegen will Madut in erster Linie Vorschläge einreichen, die gleichzeitig die Vielfalt des Volkes widerspiegeln: ein Nationalmuseum, in welchem die Folklore aller Ethnien dargestellt ist, Kunstgegenstände wie Tonkrüge und geflochtene Körbe mit verschiedenen Motiven. Brei und Brot als Nationalgericht, das alle Völker zubereiten, sowie Kleidungsstücke und traditionelle Tänze der verschiedenen Stämme. „Vor allem durch Sport und Tanz-Wettkämpfe können wir lernen, dass ein friedlicher Wettbewerb unter einer gemeinsamen Nationalflagge möglich ist“, sagt Madut und erwähnt Basketball an erster Stelle.
Während seiner Zeit in den USA musste Madut feststellen: „Unser Land hat ein schreckliches Image in der Welt – Bürgerkrieg, Sklaverei, Waffen, Dürre- und Hungerkatastrophen“, seufzt er. Seitdem Sudans Präsident Bashir vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen ethnischer Säuberungen angeklagt ist, sei das Bild Sudans endgültig ruiniert. Lediglich das Basketballtalent der hochgewachsenen Südsudanesen vermittle noch ein positives Bild. Madut sucht nun nach Ansätzen, wie sich das Negativimage aufpolieren lässt. Er plant, nach Ruanda und Südafrika zu reisen, beides Länder, die wie der Südsudan grausame Menschenrechtsverletzungen durchgemacht haben – heute aber Beispiele für Frieden und Stabilität sind. Die Erfahrung dieser beiden Länder zeige, dass sich der Südsudan als friedliches und demokratisches Land der Welt präsentieren müsse. Dies bedeute: keine Militärparaden, sondern Kulturumzüge; demokratische Wahlen statt Wahlfälschung sowie die Integration in regionale sowie internationale Organisationen.
Diesen letzten Schritt will der derzeitige Minister für Regionale Kooperation und Südsudans zukünftiger Außenminister, Deng Alor, schnell vollziehen: Der junge souveräne Staat werde demnächst Anträge zur Aufnahme in die Ostafrikanische Union, die Afrikanische Union sowie in die Vereinten Nationen stellen. Alor empfängt derzeit täglich BotschafterInnen und Delegationen aus aller Welt, die zukünftig mit dem ölreichen Südsudan diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen aufnehmen wollen: „Wir müssen die Welt mobilisieren, uns beim Wiederaufbau unseres Landes zu helfen“, sagt Alor. Dabei will er die Fehler anderer, unabhängig gewordener Staaten vermeiden.
Als Negativbeispiel gilt in Afrika Eritrea, das sich 1993 nach einem langen Bürgerkrieg von Äthiopien lossagte. Doch das kleine Land am Horn von Afrika ist international isoliert, Präsident Isaias Afewerki gilt als Diktator in einer Kategorie mit Nordkoreas Kim Jong-Il. Ähnliche Staatsbildungsprozesse hatte die Welt nach dem Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens gesehen. Südsudan verfolgt das Ziel, in der internationalen Gemeinschaft als souveräner Staat anerkannt zu werden – nicht wie der Kosovo, bei dem das nicht der Fall ist.
Die Frage, die Minister Alor derzeit am häufigsten gestellt bekommt, ist die nach dem Namen des neuen, unabhängigen Landes. Darüber müsse eine verfassunggebende Nationalversammlung abstimmen, die demnächst einberufen wird. Vorschläge gibt es genug: „Republik Südsudan“ sei wohl am wahrscheinlichsten. In der Diskussion sind aber auch die Bezeichnungen „Neuer Sudan“ – angelehnt an die Visionen des 2005 verstorbenen Kriegshelden und Anführers der Befreiungsarmee SPLA, John Garang, sowie der historische Name Cush – nach dem Königreich, das in der Bibel erwähnt wird.
Seit dem Friedensvertrag mit der Regierung in Khartum 2005 hat der halb-autonome Südsudan bereits offiziell eine eigene Flagge in den Nationalfarben Schwarz, Rot, Grün – mit einem blauen Dreieck, in welchem ein gelber Stern prangt. Die Flagge wurde während des Krieges von der SPLA-Guerilla benutzt. Als Nationalsymbole wurde ein Schild mit zwei gekreuzten Speeren auserkoren, neben welchen ein Nashorn sowie ein Flamingo stehen.
Im vergangenen Jahr hatten 49 MusikerInnen des ganzen Landes Vorschläge für eine Nationalhymne eingereicht, über welche im September ein Komitee abstimmte. „Mit der Hymne erklären wir der Welt, dass wir nun endlich frei sind, sagt der Musikprofessor Mido Samuel, der mit seiner Freiheits-Hymne den Wettbewerb gewonnen hatte.
Doch es gilt, bei der Aufnahme des neuen Staates in die internationale Gemeinschaft auch noch technische Fragen zu lösen. Telefonanbieter im Südsudan hatten in der Vergangenheit die Landesvorwahl +256 des südlichen Nachbarlands Uganda benutzt, bis sich die ugandischen Telefonanbieter beschwerten. Seit kurzem muss man nun wieder die sudanesische Vorwahl +249 wählen. In Zukunft muss geklärt werden, ob Südsudan eine eigene Landesvorwahl erhält. Dasselbe gilt für die Landeskennung im Internet. Die Regierung muss bei der Nichtregierungsorganisation The Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), die weltweit die Internetkennungen verwaltet, eine eigene Domain-Kennung beantragen.
Simone Schlindwein ist freie Journalistin in der Region der Großen Seen. Sie lebt in Uganda und reist regelmäßig nach Südsudan, Burundi, Ruanda und in den Ostkongo.
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